
Wie viele Tage dauert es seine Haltung zu verbessern? Warum es keine magische Zahl gibt
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Der Blick auf den Bildschirm, die Hände auf der Tastatur – für viele Menschen ist das die Standardhaltung über Stunden hinweg. Dabei sackt der Oberkörper oft unbemerkt zusammen, die Schultern fallen nach vorne, der Nacken verspannt sich. Dieser alltägliche Schlendrian fühlt sich nicht nur unangenehm an, er ist eine über Jahre antrainierte Gewohnheit. Das wirft eine entscheidende Frage auf: Wie lange dauert es wirklich, eine solche tief verwurzelte Haltung zu korrigieren und sich eine aufrechte, gesunde Körperhaltung nachhaltig anzueignen? Die Suche nach einer einfachen Antwort führt in eine deutlich spannendere und komplexere Welt.
Die berühmten 66 Tage – und warum sie nur die halbe Wahrheit sind
Vielleicht bist du auch schon einmal über die populäre Vorstellung gestolpert, dass man 21 Tage braucht, um eine neue Gewohnheit zu etablieren. Die wissenschaftliche Realität sieht etwas anders aus. Eine der meistzitierten Studien zu diesem Thema stammt von der Forscherin Phillippa Lally und ihrem Team am University College London. Sie untersuchten, wie lange es dauert, bis eine neue, gesunde Gewohnheit – wie etwa ein Glas Wasser zum Mittagessen zu trinken oder 15 Minuten zu laufen – automatisch abläuft, ohne dass man bewusst darüber nachdenken muss [1].
Das Ergebnis? Im Durchschnitt dauerte es 66 Tage, bis die neue Handlung zur zweiten Natur wurde. Doch die Spanne war riesig und reichte von 18 bis zu 254 Tagen. Was wir daraus lernen können, ist, dass es keine universelle magische Zahl gibt. Eine komplexere Aufgabe wie die Korrektur der eigenen Körperhaltung, die eine Vielzahl von Muskeln und tief verwurzelte Bewegungsmuster involviert, ist eben kein simples Unterfangen wie ein Glas Wasser zu trinken.
Interessanterweise zeigte die Studie auch, dass ein oder zwei ausgelassene Tage den Prozess der Gewohnheitsbildung nicht zunichtemachen [1]. Das ist doch schon mal eine beruhigende Nachricht für alle, deren innerer Schweinehund manchmal die Oberhand gewinnt. Es geht also nicht um Perfektion, sondern um die konsequente Wiederholung über einen längeren Zeitraum.
Mehr als nur eine Gewohnheit: Was in deinem Körper passiert
Eine schlechte Haltung ist selten eine bewusste Entscheidung. Sie ist das Ergebnis von Muskeln, die aus dem Gleichgewicht geraten sind. Oft sind unsere Brustmuskeln durch das viele Sitzen und nach vorne Beugen verkürzt, während die Muskeln im oberen Rücken schwach und überdehnt sind. Eine nachhaltige Haltungsverbesserung bedeutet also, dieses muskuläre Ungleichgewicht gezielt anzugehen.
Du musst deinem Körper quasi beibringen, neue Standardeinstellungen zu laden. Das erfordert zwei Dinge:
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Stärkung: Die vernachlässigten Haltemuskeln, vor allem zwischen den Schulterblättern und im Rumpf, müssen gekräftigt werden.
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Dehnung: Die verkürzten Muskeln, insbesondere in Brust und Nacken, müssen wieder an Länge gewinnen.
Klinische Studien, die die Wirksamkeit von Trainingsprogrammen zur Haltungskorrektur untersuchen, setzen diese oft über einen Zeitraum von 8 bis 12 Wochen an, um messbare Veränderungen zu erzielen [2]. Dieser Zeitrahmen ist kein Zufall, denn er deckt sich mit grundlegenden Prinzipien der Trainingsphysiologie. Es dauert in der Regel mehrere Wochen, bis sich durch regelmäßiges Training die Ansteuerung der Muskeln durch das Nervensystem verbessert (neuromuskuläre Adaption) und anschließend eine sichtbare Zunahme der Muskelmasse (Hypertrophie) stattfindet, was typischerweise nach etwa 6-8 Wochen der Fall ist [3]. Es ist ein Marathon, kein Sprint.
„Die Verbesserung der Körperhaltung ist weniger ein Ziel, das man einmal erreicht, als vielmehr eine Praxis, die man kultiviert.“
Vom Wissen zum Tun: Ein kleiner, machbarer Schritt
Die Erkenntnis, dass es Monate dauern kann, kann erst einmal entmutigend wirken. Aber anstatt dich auf die lange Zeit zu konzentrieren, hilft es, den Fokus auf den heutigen Tag und auf winzige, umsetzbare Schritte zu legen. Wenn du versuchst, von heute auf morgen stundenlang perfekt gerade zu sitzen, ist das Kopfkino des Scheiterns schon vorprogrammiert.
Was wäre, wenn du stattdessen eine einzige, winzige Übung in deinen Tag integrierst? Hier ist ein ganz konkreter Tipp, der wenig Zeit kostet, aber einen großen Effekt haben kann:
Der Türrahmen-Stretch: Stell dich in einen offenen Türrahmen. Platziere deine Unterarme auf beiden Seiten des Rahmens, sodass deine Oberarme etwa parallel zum Boden sind. Mach nun einen kleinen, kontrollierten Schritt nach vorne, bis du eine sanfte Dehnung in deiner Brustmuskulatur spürst. Halte diese Position für 20-30 Sekunden und atme dabei ruhig und tief. Wiederhole das zwei- bis dreimal am Tag, zum Beispiel immer dann, wenn du dir einen Kaffee holst.
Diese kleine Handlung unterbricht nicht nur das Muster des Zusammensackens, sondern wirkt auch gezielt der Muskelverkürzung entgegen, die so oft für runde Schultern verantwortlich ist.
Am Ende ist die Reise zu einer besseren Haltung vielleicht eine der besten Metaphern für persönliche Entwicklung: Es gibt keine schnelle Lösung. Es ist ein Prozess, der Geduld, ehrliches Hinhören auf den eigenen Körper und die Bereitschaft erfordert, immer wieder aufs Neue anzufangen. Nicht, weil du musst, sondern weil du dir selbst das Geschenk von mehr Wohlbefinden und Leichtigkeit machen möchtest.
Quellen:
[1] P. Lally, C. H. M. van Jaarsveld, H. W. W. Potts, und J. Wardle, „How are habits formed: Modelling habit formation in the real world“, European Journal of Social Psychology, Bd. 40, Nr. 6, S. 998–1009, Okt. 2010, doi: 10.1002/ejsp.674.
[2] D. Kim, M.-k. Kim, und J.-h. Lee, „Effect of an exercise program for posture correction on musculoskeletal pain“, Journal of Physical Therapy Science, Bd. 27, Nr. 6, S. 1791–1794, 2015, doi: 10.1589/jpts.27.1791.
[3] G. G. Haff und N. T. Triplett, Hrsg., Essentials of Strength Training and Conditioning, 4. Aufl. Champaign, IL, USA: Human Kinetics, 2016, Kap. 5.